Marmotte 2009

„Unter 9 Stunden sollte schon drin sein“, war meine Schätzung, die sich für 5000 Höhenmeter zu einer fast bedrohlichen Vorgabe entwickelte, je länger meine Achillessehne Ärger machte.

Die Idee war schon 2008 entstanden beim Stöbern im Netz – da war mir ein Radmarathon aufgefallen, der am gleichen Tag stattfinden sollte wie der Engadiner, zu dem wir uns angemeldet hatten und der sich mit so klingenden Namen schmückte wie Glandon , Télégraphe , Galibier und Alpe d‘ Huez .

Und später hatte ich dann noch gesehen, dass diese „Marmotte“ sich 2008 bei gutem Wetter abgespielt hatte, während wir im Engadin böse eingeregnet worden waren. Was natürlich für 2009 nichts bedeutete, aber nicht alle Entscheidungen sind rational…

 

Mario war der einzige ernsthafte Interessent, der aus meiner Umfrage beim Grünkohlessen für die 174 km-Runde übrig geblieben war. Er holte noch seinen Schwager Frank mit ins Boot, also waren wir zu dritt.

Trotzdem bin ich am Wochenende vorher schon einmal mit dem Zug vorausgefahren, weil mir die Entfernung einfach zu weit war für weniger als eine Woche Aufenthalt. Ich hatte mir Bourg St. Maurice als Basis ausgesucht, mit dem Nachtzug erreichbar bis etwa 14 Uhr. Von dort läßt sich der eine oder andere Hügel erklimmen. Ich könnte jetzt schwärmen von Auffahrten nach Les Arcs (das war was für den Samstag-Nachmittag) oder über meine sonntäglichen Ziele, das Signal de Bisanne , den Col du Joly und das Cormet de Roselend . Und stöhnen über den Col du Pré, der zwar nur auf lausige 1.700m hinaufgeht, aber in der Mittagshitze ganz fürchterlich war. Und mich begeistern über den Col de l‘ Iseran, den ich am Montag von beiden Seiten befahren habe bei schönstem Wetter, also zweimal auf 2.700m – aber das ist hier alles nicht das Thema.

 


 

 

 

 

 

 

 

Deshalb weiter nach Bourg d‘ Oisans, zu dem kleinen Örtchen am Fußes von Alpe d’Huez, wo wir uns am Dienstag dann zu dritt getroffen haben.

Wir kamen sehr unterschiedlich trainiert dort an: Mario topp, ich hatte noch einen Rückstand von meiner Achillessehne und Frank hatte noch nicht wirklich viele Höhenmeter hinter sich gebracht.

Nach dem Einchecken verhallten meine Vorschläge für eine kleine Ausfahrt am späten Nachmittag (immerhin waren die Jungs gerade direkt von Hamburg angereist) ebenso ungehört wie meine Warnungen vor dem aufziehenden Gewitter: Es mussten unbedingt sofort die berühmten Kehren von Alpe d’Huez in Angriff genommen werden. Also gut.

Natürlich hat uns das Gewitter dann auf halber Strecke erwischt – mein erster und letzter Regen der ganzen Woche. Immerhin wussten wir jetzt schon mal, was als Schlussanstieg am Samstag auf uns zukommen würde. Für sich genommen sind die 1.100 Höhenmeter nach Alpe d’Huez hinauf ja nicht so wild, aber am Ende eines langen Tages…

 

Wir verbrachten dann zu dritt zwei Vorbereitungstage: Zunächst eine schöne Südrunde von Bourg d’Oisans aus (über Séchilienne und einen recht einsamen kleinen Pass nach Valbonnais und zurück über den Col d’Ornon; und dann eine Befahrung des Izoard von beiden Seiten (von Briancon aus). Ich musste mir wiederholt vorwerfen lassen, an den Denkmälern von irgendwelchen Tour-Größen schnöde vorbeigefahren zu sein – unerklärlich, oder?

 

Von Tag zu Tag wurde es in und um Bourg d’Oisans herum lebhafter, selbst vor den abgelegensten Häusern parkten holländische Autos, der Campingplatz wurde immer voller und auf der Straße waren immer mehr Rennradler unterwegs. Für den kleinen Ort ist die Veranstaltung ein Riesenevent. Die Fassade von unserem Hotel war mit bemalten Fahrrädern und mit Trikots von allen möglichen Tour-Teams dekoriert. Die Leute kommen, gefühlt, von überall her, besonders aus den Niederlanden und Belgien; aber auch Italiener, Spanier, Engländer sind dabei und Franzosen sowieso, die Deutschen sind hier definitiv in der Unterzahl. In unserem Hotel war sogar ein Australier, auf den Japaner, von dem unser Wirt begeistert erzählt hatte, hat er dieses Jahr aber vergeblich gewartet.

Viele buchen sich komplett ein mit Startplatz, Unterkunft usw.

 

Freitag war Ruhetag, da haben wir uns die Gegend noch ein bisschen angesehen, eine kleine Runde gedreht, Kaffee getrunken, uns das muntere Treiben angesehen und im Übrigen in die Sonne geblinzelt.

 

Der Tag der Veranstaltung begann mit einem schönen Frühstück im Hotel, wenn auch viel zu früh. Der Wetterbericht versprach Sonne mit Gewitterneigung am Nachmittag. Im Starterfeld ging es erstaunlich vernünftig zu, wenig Hektik auch nach dem Start. Dazu hat beigetragen, dass zumindest auf dem ersten Flachstück die Straße für den sonstigen Verkehr gesperrt war. Etwas hektischer wurde es auf der Abfahrt vom ersten Pass, also vom Col du Glandon, dort haben sich einige in den Straßengraben begeben.

Auf der Strecke hatte man das Gefühl, dass das Leistungsspektrum breiter ist als etwa beim Ötztaler. Das fand ich ganz angenehm, weil man nicht nur überholt wird, sondern auch selber überholt. Vorne fahren die üblichen Verdächtigen, die auch den Ötztaler und ähnliche Veranstaltungen gewinnen.

Der Col de la Croix de Fer wurde wegen Bauarbeiten 2009 nicht gefahren.

 

Im letzten Teil des Anstiegs zum Galibier braute sich eine beeindruckende Gewitterwolke zusammen und es donnerte zwei-/ dreimal. Aber das war kein Problem, denn die Abfahrt nach Süden war davon nicht betroffen. Aber wer später kam, den hat’s erwischt. Frank hatte das Pech. Er hat sich dann an einer Verpflegung untergestellt und später erzählt, dass viele, weil es nicht aufhörte zu schütten, dort abgebrochen und sich in den Besenwagen gesetzt haben.

Das war eine der vielen Geschichten, die wir von Frank Stunden später gehört haben. Mario und ich hatten zunächst im Ziel in Alpe d’Huez auf ihn gewartet, hatten uns Essen geholt und dann bei den aufgebauten Ständen nach Schnäppchen gesucht. Damit uns das nächste Gewitter nicht doch noch erwischt, sind wir dann irgendwann zum Hotel runtergefahren – mit vertauschten Rollen: Vorhin kämpfte man sich noch hinauf, während Schnellere schon hinunterfegten, jetzt flogen wir an der schwitzenden, teils sogar schiebenden Karawane vorbei.

Später beim Abendessen haben wir angefangen, uns Sorgen zu machen. Es dämmerte bereits. Aber dann tauchte Frank tatsächlich auf und hatte viel zu erzählen: Nach einer Stunde sei der Regen weniger geworden und dann sei er halt weitergefahren. Unterwegs hatte er mal wieder ein Denkmal besichtigt (ich glaube auf dem Galibier), das ich mal wieder übersehen hatte, hatte Fotos gemacht, jemanden kennen gelernt und war dann an den Fuß von Alpe d’Huez gekommen, als sie dort schon die Transponder einsammeln wollten. Er ist dann trotzdem noch hinaufgefahren und wieder nass geworden und war trotzdem bester Dinge, als er letztlich beim Hotel eintrudelte!

 

Statt vieler Worte über die Strecke hier der Einfachheit halber der Link zu einem Helmkamera-Video eines Engländers: http://www.youtube.com/watch?v=dRCmO8lsUp4. Außerdem gab es einen langen Bericht über die Marmotte in der Procycling, Heft 12/08.

 

A propos 9 Stunden: Mario hat nur 8 Stunden 17 gebraucht, ich 8 Stunden 39 – na geht doch!

 

 

Autor: Michael Heinz